Nordstjernen: ein oldtimer für freunde klassischer reisen


Das ehemalige Hurtigruten-Postschiff Nordstjernen wird 2026 stolze 70 Jahre alt, gehört deswegen aber noch lange nicht zum „alten Eisen“. Eine Fahrt mit dem Schiff gleicht trotzdem einer kleinen Zeitreise.

In Gdansk überragt sogar die betagte Schwedenfähre am Anleger nebenan die kleine Nordstjernen um mehrere Decks. Dafür ist der Check-In unkompliziert: Auf dem Pier sagt man bei der Reiseleiterin seinen Namen an, dieser wird auf einer Liste abgehakt, und schon bekommt man die Schlüsselkarte zu seiner Kabine ausgehändigt. Schnell wird einem noch ein Tisch im Restaurant zugewiesen, und schon darf man an Bord. So einfach kann es gehen.

Die Passagierzahl an Bord des 1956 in Hamburg gebauten ehemaligen Hurtigruten-Postschiffes bewegt sich in der Regel im zweistelligen Bereich – diese übersichtliche Größenordnung findet man sonst nur auf edlen Luxus-Kreuzfahrtschiffen, wo der Tagespreis mühelos die Rate übersteigt, die auf der Nordstjernen die komplette Reise kostet. Luxus, das sei vorweggesagt, sucht man aber auf dem Schiffs-Oldtimer auch vergeblich. Dieser muss jedoch nicht immer in unbegrenzten Möglichkeiten oder edlen Materialien bestehen; manchmal sind es vielmehr die kleinen Dinge, die ein Schiff wie dieses zu etwas ganz Besonderem machen.

Ein offenes Schiff

Dazu gehört auf der „Stjerna“, wie ihre Stammgäste sie nennen, das Vorschiff. Dieser Bereich, der auf fast allen anderen Passagierschiffen für die Gäste unzugänglich ist, ist auf der Nordstjernen nämlich offen für alle. Während der Manöver wird man hier lediglich gebeten, die Crew nicht bei ihrer Arbeit zu behindern, ansonsten sollte man nur auf Taue, Davits und Ankerketten Acht geben. Wer dies beherzigt, findet sich auf dem Vorschiff an einem Aussichtspunkt par excellence wieder – mit freier Sicht in Fahrtrichtung, einem gerade mal hüfthohen Schanzkleid und frischem Fahrtwind, wie man ihn auf den großen Kreuzfahrtschiffen unserer Tage oft so schmerzlich vermisst.

Das gleiche gilt für das Promenadeneck, das zum zweiten Kleinod an Bord gehört. Es führt einmal rings um das Schiff herum und ist komplett überdacht, liegt aber so dicht über der Wasserlinie, dass man auch hier eins ist mit den Elementen. Wind und Gischt gibt es inklusive, und darüber hinaus führt das Promenadendeck an Steuerbord an der Kombüse vorbei, die anstatt mit einem Dampfabzug mit einem offenen Fenster arbeitet. Hier kann man noch dem Schiffskoch bei der Zubereitung der Speisen zusehen, ohne dafür Monate im Voraus einen teuren Kurs buchen zu müssen. Show Kitchen „vintage style“.

Als die Nordstjernen nach der Abfahrt ihre bescheidene Reisegeschwindigkeit von 10 Knoten erreicht hat, ist endlich Gelegenheit, sich in der Kabine häuslich einzurichten. Kabine 306 gehört dabei zu den größten an Bord; nur die ehemalige Eignerkabine nebenan (Nr. 304) ist noch ein bisschen geräumiger und darüber hinaus die einzige an Bord mit einem Doppelbett, weshalb sie auch immer besonders schnell ausgebucht ist. Ansonsten schläft man auf diesem Schiff in Doppelstockbetten. Die dazugehörige Leiter hängt im Kleiderschrank, der wie auch die komplette Vertäfelung der Kabine aus Holz ist. Sofa, Stuhl und Tisch sind schon Luxus, und auch für das Wandbild, das die Nordstjernen vor einem Gletscher in Spitzbergen zeigt, ist in den übrigen Kabinen des Schiffes eher kein Platz. Die Kabinenfenster gehen überdies raus aufs Promenadendeck – hier sollte man also die Gardinen zuziehen, wenn man nicht ungewollt die Blicke seiner Mit-Passagiere auf sich ziehen möchte.

Viel Liebe zum Detail

Die ersten knapp 30 Jahre ihres Lebens ist die Nordstjernen übrigens ein Zwei-Klassen-Schiff gewesen. Bis 1983 fuhr sie mit Bordeinrichtungen für eine Erste und solchen für eine Zweite Klasse. Dies ist noch heute ein bisschen im Layout des Schiffes erkennbar, denn auf dem Salon-Deck gibt es einen vorderen Salon und ein vorderes Restaurant (früher der Ersten Klasse vorbehalten) und einen achteren Salon und ein achteres Restaurant (früher Zweite Klasse). Letzteres ist heute die hübsch eingerichtete Cafeteria und sämtliche baulichen Trennschranken an Bord längst beseitigt, das Juwel des Schiffes bleibt aber dennoch der vordere Salon. Mit seinen viereckigen Fenstern aufs Vorschiff, den Holzschnitz-Kunstwerken des Künstlers Paul René Gauguin an den Wänden und den gemütlichen Polstersesseln und -sofas wirkt der Raum herrlich aus der Zeit gefallen, aber gleichsam so authentisch, dass man sich wie in den 1950er oder 1960er Jahren wähnt, als man so und nicht anders „mit Stil“ zum Nordkap und zurückreiste. Paul René Gauguin (1911 – 1976) war übrigens ein Enkel des französischen Malers Paul Gauguin. Von ihm stammen an Bord der Nordstjernen nicht nur o. g. Kunstwerke im vorderen Salon, sondern auch die große Schnitzerei in der Holvertäfelung des vorderen Treppenhauses und diverse Holz- und Glasintarsien bzw. Keramikarbeiten im Restaurant und in der Bar.

Um 19 Uhr trifft sich die übersichtliche Passagierschar zum ersten Mal im Restaurant zum Abendessen. Es ist dies bereits der fünfte von sechs Punkten auf dem höchst minimalistisch gehaltenen Tagesprogramm – nach „Einschiffung“ (14 Uhr), „Sicherheitsunterweisung“ (16:30 Uhr), „Die Bar ist geöffnet“ (17 Uhr) und „Abfahrt“. Wie im vorderen Salon ist auch im Restaurant die Liebe zum Detail bemerkenswert: Alle Tische sind mit Flaggen und Blumen geschmückt, in die Tischdecken ist das Reederei-Logo eingestickt, und die blau gepolsterten Stühle kommen mit einem verspielten Seeschlangenmuster in der Rückenlehne daher. Nur eng ist es. Wenn jemand von seinem Fensterplatz aufstehen möchten, müssen dies seine beiden Sitznachbarn, um ihn durchzulassen, ebenfalls, und das Servieren der Speisen ist für die Kellner unter diesen Umständen auch jedes Mal ein kleiner Drahtseilakt. Der Vorteil: Man kommt schnell mit seinen Mitreisenden ins Gespräch. Wobei sich herausstellt, dass sie alle eine Abneigung gegen große Kreuzfahrtschiffe mit ihren Tausenden Passagieren eint. Ob aus eigener Erfahrung oder vom Hörensagen zu diesem Urteil gekommen – auf ein kleines Schiff wie die Nordstjernen lassen sie nichts kommen und loben die fast familiäre Atmosphäre, die hier an Bord zwischen Passagieren, Crew und Reiseleitung herrscht.

Unter Denkmalschutz

Sie alle eint auch das Wissen, mit einer Art „schwimmendem Museum“ zu reisen. 2012 nämlich hat der „Riksantikvar“, das norwegische Direktorat für kulturelles Erbe, die Nordstjernen unter Denkmalschutz gestellt. Damit sorgte die Behörde dafür, dass das Schiff nicht nur nicht außer Landes verkauft werden durfte, sondern auch dafür, dass fortan jegliche bauliche Veränderung an Bord untersagt bzw. an Auflagen geknüpft war. Diese höchste Form des Denkmalschutzes stellt die Nordstjernen auf eine Stufe mit den berühmten norwegischen Stabkirchen, weshalb der Reichsantiquar das Schiff schon mal liebevoll als eine „schwimmende Stabkirche“ bezeichnet hat.

Das „Kulturgut“ Nordstjernen lässt sich nirgendwo besser besichtigen als an Deck. Hier stehen noch die alten Holzschränke mit Rettungswesten darin, weisen die Davits ihre deutsche Herstellerfirma als „Ottenser Eisenwerk“ aus (der Alias-Name von Blohm & Voss, als die Alliierten die Verwendung dieses Namens noch nicht wieder erlaubten) und prangen am Schornstein die drei weißen Ringe auf schwarzem Grund – die Farben der Bergenske Dampskibsselskab (BDS), welche das Schiff 1955 in Hamburg in Auftrag gegeben hatte. Die „Bergen Line“, so ihr einprägsamerer englischer Name, gibt es allerdings längst nicht mehr, genauso wie der Name „Blohm & Voss“ heute nur noch aus Nostalgiegründen an den Schwimmdocks entlang der Elbe steht. Als die BDS die Nordstjernen 1979 innerhalb Norwegens weiterverkaufte, führte das Schiff erst das Logo der Troms Fylkes Dampskibsselskap (TFDS) im Schornstein und dann (ab 2006) jenes der neugegründeten Hurtigruten-Group, ehe sich ihr neuer Eigner Vestland Classic AS nach dem Erwerb der Nordstjernen 2012 gemeinsam mit dem Reichsantiquar für die alten Farben der Bergen Line einsetzte. Die Rechte dazu erwarb Vestland zusammen mit einem 90-teiligen Satz Tafelsilber, welches ebenfalls das Logo der norwegischen Traditionsreederei trägt und in Teilen in einer Vitrine im Restaurant ausgestellt ist.

Karlskrona

Als ich am nächsten Morgen die Gardinen des Kabinenfensters zurückziehe, scheint draußen die Sonne. Ich bin früh um 6:30 Uhr auf den Beinen, um das Schiff ein bisschen für mich zu haben. Noch bevor es Frühstück gibt, sitze ich für ein paar Minuten ganz alleine am Bug und lasse mir den Wind um die Nase wehen, ein herrliches Gefühl – nicht nur diese exponierte Stelle, die auf allen anderen Schiffen tabu ist, sondern auch das Gefühl, auf einem Kreuzfahrtschiff überhaupt noch irgendwo allein sein zu können. Im Blick hat mich hier höchstens die Brückenbesatzung, die derlei aber gewöhnt ist und sich darauf verlässt, dass man als Passagier aufpasst, wohin man tritt und auf dem Vorschiff auch ansonsten keine Dummheiten macht.

Während sich die Passagiere wenig später das Frühstück schmecken lassen, stellen sie beim Blick aus den Restaurantfenstern verblüfft fest: Die Nordstjernen fährt ja gar nicht mehr, und auch ein Lotse ist nirgendwo in Sicht. Kurz darauf erfahren wir den Grund dafür: Die Schwedische Marine, die einen Großteil ihrer Flotte in Karlskrona stationiert hat, hält aktuell ein Manöver in der Bucht ab. Nanu, am Sonntag? Noch dazu am Muttertag? Und das ohne Vorankündigung? Aber Hafen und Marine bleiben eisern – keine Einfahrt für zivile Schiffe, ehe das Manöver beendet ist. Es dauert am Ende bis 12 Uhr, ehe sich die Nordstjernen in dem ihr eigenen gemächlichen Tempo durch die Schären hindurch ihren Weg zum Pier direkt in der Altstadt Karlskronas gebahnt hat.

Bei diesem Schiff ist es übrigens mehr noch als auf anderen ein Erlebnis, das Anlegen im Hafen von Deck aus mitzuverfolgen. Denn wo andere Schiffe mit Hilfe von Bug- und Heckstrahlrudern bzw. modernen Azipods praktisch seitwärts ein- und ausparken können, ist das Anlegen bei der Nordstjernen, die komplett ohne derlei Hilfsmittel auskommen muss, noch Handarbeit: Das Schiff wird zunächst mit der vorderen Leine am Pier vertäut, lässt dann den Anker fallen und driftet anschließend langsam mit der Heckpartie voran dem Kai entgegen. Ein Nachsteuern ist nur über die (einzige) Schiffsschraube möglich, deren Blätter allerdings verstellbar sind. Auf diese Weise lässt sich das Schiff immerhin noch in kleinen Schüben vor- und zurücksetzen.

In Karlskrona kann man der militärischen und maritimen Historie der Stadt kaum irgendwo entkommen. Trutzige Mauern schirmen das Marinegelände vom Rest der Stadt ab, martialische Denkmäler erinnern an die Helden vergangener Kämpfe, und am Wasser, welches von der Altstadt aus nie weit entfernt ist, fällt der Blick regelmäßig auf alte und neue Kriegsschiffe – sei es am Pier des Schifffahrtsmuseums, am Kai des modernen Marine-Arsenals oder draußen in der Bucht. Doch Karlskrona hat auch seine verträumten Ecken. Die ehemalige Bahntrasse zur Werft ist in einen grünen Stadtgraben umgewandelt worden, im Park stolziert wie selbstverständlich ein Austernfischer durchs Gras, und auf der kleinen Insel Stakholmen unweit des Fisktorget hat sich gleich neben dem Bohlenweg ein Storchenpaar zum Brüten niedergelassen. Ein Stück heile Welt, das man trotz des mittelmäßigen Wetters gerne so in Erinnerung behält.

Bornholm

Tag 3 der Reise erwartet die Reisenden mit demselben Sonnenschein, in dem die Nordstjernen am Vortag Karlskrona verlassen hat. In den frühen Morgenstunden hat das Schiff Hammerodde, die Nordspitze Bornholms umrundet und nun mit geruhsamen 5 Knoten Kurs auf Rønne, die Inselhauptstadt, genommen. Unter Deck begrüßt einen jedes Crew-Mitglied derweil mit einem fröhlichen “Good Morning“ oder „Guten Morgen“, und die Passagiere untereinander sowieso.

Die zehn Stunden, welche die Nordstjernen in Rønne verbringt, reichen locker, um sich sowohl in Rønne selber umzusehen als auch einen Ausflug quer über die Insel zu unternehmen. Mich bringt ein Bus nach Gudhjem, einen kleinen Fischerort an der Nordküste Bornholms, der für seine Glasbläserei und seine Fischräucherei bekannt ist. Vor Beginn der Sommersaison ist es hier aber vor allem eines: herrlich ruhig. Touristen sucht man im Mai noch vergeblich, die Einheimischen sind arbeiten, und nachdem der Tuborg-Lastwagen den örtlichen Brugsen-Supermarket mit Øl (Bier) beliefert hat und zum nächsten Küstenort weitergefahren ist, ist man hier mit sich, dem Ostseewind und dem Rauschen der Brandung an den Kiesstrand allein. Himmlisch.

Im Vergleich dazu ist Rønne das genaue Gegenteil. Reisende aller Couleur bilden hier einen ständigen Strom zwischen Altstadt und Fährhafen, rings um den Marktplatz erfüllen Stimmen in allen Sprachen die Frühlingsluft, und die Straßen sind voller Autos und Busse, die von hier aus sämtliche kleinen und großen Städte der Insel anfahren. Trotzdem lässt sich auch Rønne genießen. Überall laden enge Kopfsteinpflastergassen mit bunten Fachwerkhäusern zum Spazierengehen ein, Geschäfte mit Kunsthandwerk, Wolle u. ä. zum Stöbern und Shoppen und die Wiese hinter dem „Lystbådehavn“ zu gepflegtem Nichtstun im Gras mit Blick auf Fähren, Frachter und Fischerboote. Auch einen eigenen kleinen Stadtstrand besitzt Rønne, auch wenn Bornholm selber natürlich vor allem für seine breiten Sandstrände in Dueodde und an der Südküste der Insel bekannt ist.

Am Abend ist dann Thomas, der Chefkoch an Bord, in seinem Element. Er ist Däne und präsentiert anlässlich des Besuches der Nordstjernen in Rønne seine Interpretation von „Sol over Gudhjem“. Er tut dies in eigenen Worten vor versammelter Passagierschar im Restaurant und berichtet dabei auch, dass er die meisten Zutaten zu diesem Gericht erst heute auf der Insel selber eingekauft habe. Das Nationalgericht Bornholms besteht aus Roggenbrot mit geräuchertem Hering, Rettich und Schnittlauch (Vorspeise), Schweinebauch mit Stampfkartoffeln, Rosenkohl und Erbsen (Hauptgericht) und der Eis-Kreation „Krølle Bølle“, so benannt nach dem Troll, der in unterirdischen Grotten der unzähligen Steilküsten Bornholms leben soll. Das Menü, stilecht zusammen mit dem guten alten Carlsberg Pils verköstigt, ist ein Genuss – da sage noch einer, die skandinavische Küche sei wenig einfallsreich!

Goodbye Nordstjernen

Der letzte Punkt auf dem heutigen Tagesprogramm heißt „Goodbye Nordstjernen“. Das Abschiedstreffen von Reiseleitung, Besatzung und Passagieren ist für 21 Uhr im achteren Salon angesetzt, wird jedoch nach kurzer demokratischer Abstimmung (auch so etwas ist nur auf einem sehr kleinen Schiff möglich!) auf das Sonnendeck gleich nebenan verlegt. Im Licht der untergehenden Sonne gibt es auf halbem Weg zwischen Rønne und Rostock Sekt, eine spontane Musikeinlage der Besatzung und noch einmal warme Grußworte der Reiseleiterin, des Kapitäns und sogar solche aus den Reihen der Passagiere. Man ist keine vier Tage zusammen unterwegs, fühlt sich am Ende der Reise aber trotzdem wie eine kleine Familie – so etwas schafft nur ein kleines Schiff, auf dem der Umgang herzlich, die Wege kurz und das allgemeine Procedere unbürokratisch sind.

Die viertägige Kurzreise der Nordstjernen endet am nächsten Morgen in Warnemünde. Dort allerdings bekommt die „Stjerna“ einen Empfang, wie er sonst nur wenigen Schiffen zu Teil wird. Ein historisches Feuerlöschboot kommt nämlich dem alten Hurtigruten-Dampfer vor der Mole entgegen und spart nicht mit Wasserfontänen, die es aus seinen Kanonen spritzt. Fast alle Passagiere haben sich zu dieser Begebenheit am Bug der NORDSTJERNEN versammelt, aber viel zu schnell sind leider nach dem Feuerlöschboot auch schon Hotel Neptun, „Teepott“ und alter Leuchtturm, die drei Wahrzeichen Warnemündes, an uns vorbeigezogen.

Der Abschied von der Nordstjernen fällt daher schwer – von den Passagieren, die man nach kurzer Zeit ins Herz geschlossen hat, aber auch von der Besatzung, zumal der Kapitän jedem einzelnen Gast am Fuß der Gangway noch einmal persönlich die Hand schüttelt. In Warnemünde reichen die Aufbauten des Postschiffes übrigens gerade mal bis zur Dachunterkante des Terminalgebäudes – ein Anblick, der nicht nur für die Warnemünder ungewöhnlich ist, wo die Kreuzfahrtschiffe in der Regel wie Hochhäuser weit über sämtliche Gebäude der Stadt hinausragen.

Ein Schiff wie kein anderes

Doch an der Nordstjernen ist vieles ungewöhnlich. Einiges davon weiß man vorher, anderes erlebt man erst, wenn man an Bord ist. Wer sich für eine Reise mit diesem Schiff entscheidet, entscheidet sich in jedem Fall für enge Kabinen, von denen mehr als ein Drittel (28 von 71) ohne WC und Dusche auskommen muss; für Gänge, Treppen und Korridore, in denen man sich mehr als einmal während der Reise den Kopf oder das Knie stößt; und für Geräusche, die je nach Lage im Schiff mal leiser und mal lauter sein können. Er entscheidet sich aber auch für ein Schiff, auf dem neben diversen Kabinen auch die Büros von Hotel Manager und Reiseleiterin zu jeder Zeit offenstehen, auf dem fast jeder Wunsch auf kurzem, unbürokratischem Weg erfüllt wird und auf dem einem Räume und Decks zugänglich sind, bei denen man anderswo enttäuscht vor „Zutritt verboten“-Schildern oder riesigen Windschutzscheiben stehen bleiben muss.

Hat ein Schiff wie die Nordstjernen in unserer Zeit noch eine Zukunft? Man möchte es ihm wünschen, sicher ist es aber nicht. Mit den Kampfpreisen, wie sie die Großen der Branche bieten, kann eine Reederei wie Vestland Classic nicht mithalten, die hohen Preise, welche viele Luxus-Reedereien für ihre modernen Expeditionsschiffe verlangen, aber angesichts ihrer eher geradezu antiken Anmutung auch nicht fordern. Auch 150 Betten wollen aber über eine ganze Saison hinweg belegt sein (130, wenn man diejenigen abzieht, in denen die Geräuschkulisse hart an der Schmerzgrenze liegt), und das ist nicht einfach für einen Anbieter, der nicht in den gängigen Online-Kreuzfahrtdatenbanken auftaucht, sondern in Sachen Marketing und Verkauf fast ausschließlich auf Mund-zu-Mund-Propaganda u. ä. angewiesen ist.

2026 soll dennoch groß gefeiert werden, dann nämlich erreicht die Nordstjernen das fast unwirkliche Schiffsalter von 70 Jahren. Wieder soll sie dann in Nord- und Ostsee in See stechen und dabei natürlich auch ihren Heimathafen Bergen ansteuern, von wo aus sie eventuell auch wieder auf Nord-Kurs Richtung Kirkenes geht. Vielleicht im Rahmen einer Nostalgie-Reise mit allen oder möglichst vielen kleinen Hurtigruten-Häfen entlang der Strecke? Es wäre eine Traumreise, die sich viele eingefleischte Fans des Schiffes und der Hurtigrute selber nicht werden entgehen lassen wollen.

Verpassen Sie keine Neuigkeiten, Updates und Bewertungen aus der Welt der Kreuzfahrten auf Cruising Journal.

Kai Ortel

Kommentare