Nicko Cruses: 3697 Seemeilen am Ende der Welt


Vom australischen Sydney ist neuseeländische Auckland: Zwei Länder, 15 Häfen und  Seemeilen durch die raue, teils stürmische tasmanische See liegen vor der „Vasco da Gama“ von Nicko Cruises.

Dass es am Ende der 20-tägigen Reise ein Hafen weniger sein wird, liegt nicht etwa an den Wetterkapriolen in dieser Ecke der Welt, sondern schlicht und einfach an Tasmaniens Lotsen. Die wollen nämlich sonntags und in den Abendstunden weniger arbeiten, und ohne Lotsen geht es nun einmal nicht. Kapitän Adrian Firsov muss kurzerhand umrouten, legt die Stippvisite Tasmaniens auf Werktage und steuert anschließend nach Melbourne zurück – was den 800 Passagieren an Bord der 219 Meter langen Lady einen zusätzlichen Seetag beschert. 

Wer schon einmal mit einem Schiff von Holland-Amerika gereist ist, wird sich auf der 1993 gebauten Vasco da Gama sofort daheim fühlen. Das imposante Treppenhaus, das liebevoll dekorierte Waterfront Restaurant, das Lidodeck mit dem beheizbaren Pool und der Delphinskulptur – all das erinnert an die kleineren Schiffe der Konkurrenz. Die Ähnlichkeit kommt nicht von ungefährt, denn die Vasco, die im April 2023 als Schiff des Jahres ausgezeichnet wurde, war früher als MS Statendam für Holland-America unterwegs.

Deck 6 wird sich während der Seereise zu meinem Lieblingsplatz mausern. Morgens drehe ich auf der 400 Meter langen Promenade aus Teakholz meine obligatorischen Runden und freue mich tierisch. wenn eine Horde Delphine durch die Bugwellen der Lady surft. Mittags, wenn am Lidodeck mit seiner hübschen Bar kein freier Platz zu ergattern ist, platziere ich mich auf einem der weißen Liegestühle und genieße die schönsten Seiten einer Seefahrt. Jeder Tag ist Balsam für die Seele, selbst das Wetter wird zur Nebensache. Mal zaubert die Sonne einen silbernen Funkenteppich auf die spiegelglatte See, am anderen Tag sauge ich – dick eingemummelt in Jacke und Mütze – die frische Seeluft ein. Egal ob strahlender Sonnentag oder Windstärke 8: Auf Deck 6 habe ich oft das Gefühl, das ganze Schiff für mich allein zu haben. 

Der größte Vorteil der Vasco da Gama: Sie läuft auch kleinere Häfen an, um die die schwimmenden Giganten mit Abertausenden Passagieren notgedrungen einen großen Bogen machen müssen wie beispielsweise das Fischerdörfchen Eden, das rund 475 Kilometer südlich von Sydney direkt an der traumhaften Saphirküste liegt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Eden ein verschlafenes Nest, wo Fischer in kleinen Ruderbooten den Thunfischen nachstellten und gelegentlich einen Wal harpunierten. Im Whale Killer Museum wird an jene Zeiten erinnert, als der Walfang eine wichtige Einnahmequelle für die Menschen in der Twofold Bay war, weil die Welt nach dem Brennstoff Tran gierte. In dem sehenswerten Museum gibt es sogar einen namentlichen „Stammbaum“ der Herden, der bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Von Mitte August bis Anfang August tummeln sich die großen Säuger in der Twofold Bay, in der übrigen Zeit liegen die Ausflugsboote für die friedliche Walbeobachtung vertäut im Hafen.

Man kann es kaum glauben: Vor knapp 200 Jahren dienten Australiens Festland und die vorgelagerte Insel Tasmanien nur einem Zweck – als Sträflingskolonie des Britischen Empire. Könnten Mauern reden – im Fall von Port Arthur auf der australischen Insel Tasmanien käme ein dicker Schmöcker heraus. 30 Jahre lang war der Inselknast ein Ort der Schande, ein Synonym für staatlichen Terror, wo Resozialisierung in Wahrheit Entmenschlichung war. Port Arthur ist fast so berühmt wie Alcatraz in der Bucht von San Francisco und nicht weniger berüchtigt. Denn von diesem Flecken Erde fernab der Zivilisation gab es kein Entkommen. 

Der Kontrast zwischen den Sträflingsblocks und der Natur kann nicht größer sein. Hier die winzigen Zellen, wo Gelegenheitsdiebe, Frauen mit moralisch verwerflichem Lebenswandel, selbst Kinder landeten, dort eine paradiesische Parklandschaft, wo Zypressen Spalier stehen, Hortensien, Rosen und allerlei exotische Pflanzen in liebevoll gepflegten Gärten gedeihen und scheue Wallabys durch Eukalyptuswälder hoppeln. Seit 2010 zählt das Freiluftmuseum, das die wichtigste Sehenswürdigkeit Tasmaniens ist, zum Weltkulturerbe. 

Bei der Fahrt durch die Tasmansee lässt Neptun seine Muskeln spielen. Welle für Welle fegt über die noch vor Tagen spiegelglatte See. Weiße Schaumberge türmen sich auf. Der Sound des Meeres und des Windes ist unbeschreiblich. Mal jaulend wie ein waidwundes Tier, dann wieder säuselnd wie ein smarter Verführer. Die Gischt legt sich bei Windstärke elf wie ein feuchtes Tuch auf Planken und Reling. Nur die Abgehärtesten wagen sich nach draußen und kämpfen breitbeinig und heftig schwankend gegen den fauchenden Wind an. In den Whirlpool steige ich lieber nicht, stattdessen ergötze ich mich an der Kraft des Meeres, am salzigen Geschmack auf den Lippen, an den Gischtschwaden, die im Schein der Sonne silbrig funkeln.

Alle Jahreszeiten an einem einzigen Tag: Das kann einem in dieser Ecke der Welt schon mal passieren. Steward Island ist buchstäblich der letzte Außenposten der Zivilisation, das letzte Stück Land vor der Antarktis. Zu dem Inselzwerg mit dem Maori-Namen Rakiura muss ich erst einmal die Suchmaschine bemühen. Selbst dem Reiseführer ist Neuseelands drittgrößte Insel, die Weltumsegler James Cook fälschlicherweise für die Südspitze der Südinsel hielt, nur wenige Seiten wert. Man kann dem guten Mann seinen Fehler nachsehen, schließlich liegt die nur 30 Kilometer entfernt und zeichnet sich als bleichen Silhouette am Horizont ab.

Das Thermometer zeigt an diesem neuseeländischen Sommertag bescheidene 13 Grad an, strahlender Sonnenschein wechselt sich im Minutentakt mit peitschendem Regen ab, der Wind fegt den Flachländer beinahe aus den Schuhen und übertönt das gleichmäßige Rauschen des Meeres. Die Buchten mit feinstem weißen Sand und glasklaren Wasser, dafür ganz ohne Menschen wirken verlockend, doch ein kurzer Blitztest per Hand macht schnell klar: An diesem Ozean haben Warmduscher keine Freude.

Ganze 300 Bewohner zählt das Örtchen Oban an der sichelförmigen Halfmoonbay, nur 600 sind es auf der gesamten Insel. Sie steht wegen ihrer einzigartigen Flora und Fauna zu weiten Teilen unter Naturschutz. Im kurzen Sommer gesellen sich 30 000 Besucher dazu, die entweder mit der Fähre kommen oder per Propellermaschine einschweben. 

Viel zu entdecken gibt es nicht in Obaneine presbyterianische Kirche, das Bunkhouse Theater, das gelegentlich als kommunaler Kinosaal genutzt wird, die knallbunt gestrichene Primary School sowie ein kleiner Shop, wo sich sportliche Naturen E-Bikes ausleihen können. So übersichtlich Obans Straßennetz auch ist: In puncto Kneipendichte schlägt der Ort so manche europäische Großstadt. Gleich sieben Restaurants, Lokale und Food-Trucks buhlen in dem 300-Seelen-Kaff um Kundschaft. Im historischen „South Sea Hotel“ kehrte sogar mal ein echter Windsor-Spross ein und beteiligte sich am Sonntagabend-Pub-Quiz. Gewonnen habe Prinz Harry und sein “Ginger Ninja“-Team nicht, notierten englische Zeitungen süffisant´- dabei seien die Fragen doch handverlesen gewesen. 

Fast täglich legt die “Vasco da Gama” in einem neuen Hafen an, geht es für uns in eine unbekannte Stadt. In Melbourne streifen wir durch schmale Gassen mit farbenfroher Streetart, wo es alles gibt, was das Herz begehrt. In Christchurch spüren wir den Spuren des schweren Erdbebens nach, das die halbe Innenstadt in Schutt und Asche legte. In Wellington lassen wir uns mit dem berühmten Cable Car zum rund 120 Meter höher gelegenen Stadtteil Kelburn kutschieren, wo einem Neuseelands Hauptstadt zu Füßen liegt. Doch es sind nicht die großen Städte, die in Erinnerung bleiben, es sind die kleinen Perlen wie das schottisch angehauchte Dunedin oder Napier, die Art-Déco-Kapitale der Welt. 1931 war das Pazifikstädtchen, 400 Kilometer südlich von Auckland, durch ein Erdbeben komplett zerstört worden. Der Wiederaufbau erfolgte mit vorgefertigten Betonteilen, an deren Fassaden sich örtliche Architekten austoben durften. Deren Faible für die zwischen den beiden Weltkriegen dominierende Kunstrichtung ist unübersehbar. Während in den Erdgeschossen der weit über 100 Häuser indische Restaurants, Buchhandlungen und Souvenirläden zu finden sind, schlängeln sich eine Etage höher markante Zickzackmuster über die in soften Pastelltönen gehaltenen Fassaden. Geografische Muster in kräftigen Tönen zieren kantige Vorsprünge, rahmen bleiverglaste Fenster ein und finden sich in schmiedeeisernen Balkonen wieder. Elegante Straßenlaternen, filigran wie Kerzenhalter, flankieren die Straßen zwischen Tennyson und Dickens Street. Selbst McDonalds residiert in einem kunstvoll restaurierten Art déco-Gebäude, das Besucher eher in Paris, New York oder Wien vermuten würden.

Dass unter Neuseeland die Erde brodelt, zeigt sich in Rotorua auf der Nordinsel. Dessen Thermalfeld mit seinen sieben, derzeit noch aktiven Geysiren ist das größte des geographisch isolierten Inselstaats im südlichen Pazifik. Es gibt dampfspeiende Fumarolen und blubbernde Schlammlöcher, deren Brei in unzähligen Spa-Hotels gegen rheumatische Beschwerden und für reine Haut verwendet wird. Es gibt strahlend weiße Sinterterrassen und heiße Pools, die dank der im Thermalwasser gelösten Mineralien orange, giftgrün oder gletscherblau schillern, alles eingebettet in ein üppig-grünes Tal mit riesigen Silber-Baumfarnen, deren Silhouette als Tattoo das Gesicht manches Maori schmückt. Zusammen mit dem flugunfähigen Kiwi zählt der Silberfarn zu den Wahrzeichen Neuseelands.

Einer der schönsten Landstriche wartet am Ende der Reise: die Bay of Islands, die sich rund 20 Kilometer ins Landesinnere hinein erstreckt. 144 Inseln – manche dünn besiedelt, andere nur ein Felsbrocken im kristallklaren Meer – tummeln sich in der Bucht, wo der britische Seefahrer und Entdecker James Cook im Jahre 1769 anlandete und sich gleich mit der indigenen Bevölkerung fetzte. Die pittoreske Hafenstadt Paihia mit der ältesten Kirche des Landes ist der perfekte Ausgangspunkt für Ausflüge mit dem Speedboot zum Hole in the Rock – einem haushohen Loch in einem Sandsteinfelsen, durch das bei ruhiger See die Ausflugsboote schippern –  oder zu den Sanddünen hinter dem Ninety Mile Beach, wo Einheimische auf Surfbrettern die Hänge hinabgleiten.  

In Auckland, der 1,6 Millionen-Stadt mit ihren vielen, längst unter einem Pflanzenteppich verschwundenen Vulkankratern, endet die Reise durch Ozeanien. Insgesamt 3697 Nautische Meilen, also fast 7000 Kilometer, hat die Vasco da Gama zurückgelegt. Sie hat sich durch Wind und Wellen gekämpft, meisterte knifflige Anlegemanöver, lag gelegentlich auf Reede. Was bleibt sind unvergessliche Erinnerungen, von himmelwärts strebenden Großstädten, die keine 200 Jahre auf dem Buckel haben, von grüner Wildnis voll exotischer Pflanzen, von hilfsbereiten Menschen, die stets ein Lächeln für den Fremden parat hatten. Das Plüschmodell des Tasmanischen Teufels, dem wir in „Bonorong Wildlife Sanctuary“ unweit von Hobart live begegnet sind, bekommt einen Ehrenplatz auf dem heimischen Sofa. Wer weiß, ob wir ihn jemals wiedersehen. 

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Roswitha Bruder-Pasewald

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